„Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr...“
So beginnt im Gotteslob unter der Nr. 433.2 ein äußerlich schlichtes, dafür aber – kanonisch gesungen – melodisch unbeschreiblich schönes Lied mit dem ich eine persönliche Erfahrung verbinde: In meiner ersten Abendandacht als Kurat unseres DPSG-Stammes St. Ludgeri in Helmstedt wählte ich dieses Lied als Leitthema im Rahmen eines sogenannten Trupp-Wochenendes aus. Es war schon dunkel. Zuvor hatten wir am knisternden Lagerfeuer das übliche
Stockbrot ‚gebacken‘ und die Kinder und Jugendlichen waren leidlich aktiv. Zur Andacht versammelten wir uns in unserer schönen Doppelkapelle im Innenhof des Klosters St. Ludgerus und ich begann zunächst, quasi als Introitus, die Melodie leise zu summen. Da geschah etwas unerwartetes! Die Kinder und Jugendlichen, eben noch im teils wilden Spiel tobend, wurden vollkommen ruhig und still und stiegen langsam in den Gesang dann mit ein.
Zudem erinnert mich das Thema unweigerlich an die Werkzeuge der geistlichen Kunst, die der heilige Benedikt in seiner Regel gleich zu Beginn beschreibt. Da findet sich zunächst der Gehorsam (RB 5). Höre! Das Neigen des Herzens-Ohr hingegen kann wohl zusammenfassend mit der beschriebenen Demut verglichen werden (RB 7). Flankiert von eben diesen beiden findet sich dazwischen, im Zentrum: das Schweigen.
Mit der patristischen Tradition sind Gehorsam, Schweigen und Demut nicht ausschließlich asketische Übungen sondern verweisen auf Jesus Christus selbst, der dem Suchenden hier gehorsam, schweigend und demütig unmittelbar gegenübergestellt wird – Christus exemplum. In seinen Schriften deutet der heilige Ambrosius das Schweigen sogar als Wesensmerkmal Christi: „Diabolus sonum quaerit, Christus silentium – der Teufel sucht den Lärm, Christus das Schweigen“ und stellt damit einen inneren Zusammenhang mit dem schweigenden und leidenden Gottesknecht her.
Doch auch biblisch ist der Wert des Schweigens verbürgt. „Bei vielem Reden bleibt die Sünde nicht aus, wer seine Lippen zügelt, ist klug.“ (Spr 10, 19 - EU) Und auch der Psalmist kennt das Schweigen. Nahezu jeden Freitag beten wir in der Vesper mit dem sog. Weihrauchpslam: „HERR, stelle eine Wache an meinen Mund, bewahre die Tür meiner Lippen! Lass mein Herz sich nicht zu einer bösen Sache neigen, dass ich gottlose Taten vollbringe mit Männern, die
Übeltäter sind; und von ihren Leckerbissen lass mich nicht genießen!“ (Ps 141, 3-4 - Schlachter) Auch neutestamentlich wird bspw. im Jakobusbrief vor der negativen Macht der Zunge gewarnt (vgl. Jak 1, 19) und bekommt letztlich sogar eine eschatologische Dimension: „Als das Lamm das siebte Siegel öffnete, trat im Himmel Stille ein, etwa eine halbe Stunde lang.“ (Offb 8, 1 EU)
Interessanterweise verwendet die Vulgata für das letzte Zitat die lateinische Bezeichnung silentium und bezeichnet damit die Stille als vollkommene Lautlosigkeit – unabhängig von den näheren Umständen. Silentium findet sich auch an verschiedenen Stellen der regula benedicti wieder.
In seinem Kapitel über das Schweigen als geistliches Werkzeug verwendet der heilige Benedikt hingegen die Wendung taciturnitas, was übersetzt den Verzicht auf Äußerungen bedeutet. Ein feiner und gewichtiger Unterschied. Damit kommt zum Ausdruck, dass Schweigen wesentlich mehr bedeutet als den bloßen Verzicht auf das Sprechen. So betonen bspw. die Wüstenväter vor allem das innere Schweigen als Wesensmerkmal auf dem Weg zur Begegnung mit Gott. Denn wer zwar keine Worte spricht, dennoch in seinem Herzen über andere urteilt, redet eigentlich ununterbrochen. Damit ist das innere Schweigen eine wichtige Form für den gottsuchenden Menschen. In der inneren Stille sind alle unsere Sinne bereit für die Begegnung mit GOTT und wir hören seine Botschaft, die uns teilhaben lassen möchte an
seinem ewigen Frieden.
Und so lautet der Text des Liedes Im Gotteslob vollständig: „Schweige und höre, neige deines
Herzens Ohr, suche den Frieden.“
Amen!
Impuls von Andreas
Das innere Schweigen ist ein interessanter Punkt. wann schweigen wir wirklich? Bedeutet schweigen keine Worte zu benutzen in den Gedanken? Reden wir dann unentwegt? Oder ist das schweigen auch verknüpft mit einer Freiheit von Wertung im Sinne, alles darf sein? Dies ist mir nach Deinem Impuls in die Gedanken gekommen. Hab Dank, Andreas. 🙏
Spannende Überlegungen!!!
Beim Zazen (Zen-Sitzen) bspw. gilt die Anforderung des ‚Nicht-Denkens‘. Meiner Erfahrung nach die größere Herausforderung als das eigentliche, aufrechte Sitzen im Lotus-Sitz. Auch die christliche Kontemplation fordert, die Gedanken einfach ziehen zu lassen und nicht daran festzuhalten.
Ich beginne mich zu fragen, ob das innere Schweigen nicht gar als Methode einer negativen Theologie (vgl. Meister Eckhard) verstanden werden kann. t.b.c.
🙏 tbd
Das innere Schweigen hat mich auch beschäftigt, vielen Dank für den Anstoß.
Die äußeren Worte kann ich mir (zur Not mit Gewalt) verkneifen.
Innerlich redet es ohne mein Zutun. Und das kann nicht einfach abgestellt werden.
Die Frage ist, was da redet: Ist es nur oberflächliche Ablenkung? Ist schon gesagt, was wirklich in mir vorgeht und heraus will? Das will ich auch nicht mit irgendwelchen Techniken einfach ruhig stellen.
Vielleicht kann meine echte innere Stille sich erst einstellen, wenn das Eigentliche ehrlich erkannt, benannt und ausgesprochen ist.